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Im Dorf Kleeberg bei Ortelstein liegt der stattliche Hof der Bauernfamilie Baranowski. Bauer Aloys Baranowski lebt und wirtschaftet dort mit seiner Frau Hildegard, den fünf Kindern sowie seinen Mägden und Knechten.
Bereits vor vielen Jahren haben die Eltern Baranowski den Hof ihrem Sohn Aloys übergeben und sich auf das Altenteil zurückgezogen, die Mutter steht in der Mitte der Vater in den späten Siebzigern - ein separates Häuschen in unmittelbarer Nähe. Ein Bruder des Bauern ist Pfarrer geworden, zwei Schwestern haben weggeheiratet, lediglich Franz der jüngste und immer schon etwas kränkliche Bruder ist unverheiratet auf dem Hofe geblieben, wo er nun wohnt und mithilft, so gut er eben kann.
Für Hildegard Baranowski, das einzige Kind des inzwischen verstorbenen Landgerichtsrats Arthur Greupner aus Ortelstein und seiner Frau Edeltraud, schien das Leben gewiß nicht die Rolle einer Bäuerin vorausbestimmt zu haben als sie einst das Licht der Welt erblickte und auch im Sinne des Herrn Landgerichtsrats und seiner Frau war das kaum gewesen.
Doch wie das Schicksal so zu spielen pflegt, waren die Greupners irgendwann mal im Dörfchen Kleeberg, das reizvoll an einem See gelegen ist, in der Sommerfrische.
Dort trug es sich dann auch zu, daß der Bauernsohn Aloys und die Tochter des Herrn Landgerichtsrat aus der Bezrikshauptstadt sich näherkamen und schließlich in einer linden Sommernacht auch intim wurden. In der Scheune im Heu nebenbei bemerkt, wenn man gar so indiskret sein darf.
Das Fräulein Hildegard schien Aloys damals so "scheen druschlich" und die zarte Haut und die roten Lippen, daß er sich ihre Bekanntschaft durchaus reizvoll vorgestellt hatte - und wohl dabei auch auf seine Kosten kam. Auch auf sie, die Städterin, muß der starke von der Feldarbeit braungebrannte Bauernsohn einen gewaltigen Eindruck gemacht haben.
Nun zeigten sich einige Monate später schlechterdings die Folgen, wenn sie auch angesichts der beleibten Statur des Fräulein Hildegard erst recht spät augenfällig wurden. Und so blieb keine Wahl, die beiden mußten - zumindest aus Sicht der Eltern, wird man das so sagen müssen - heiraten.
Für Begeisterung hatte das nämlich bei den Altbauern gewiß ebenso wenig gesorgt wie beim Herrn Landgerichtsrat und seiner Gattin, daß die junge Bäuerin eine aus der Stadt sein würde, die von "Tuten und Blasen" auf einem solchen Hof nun gewiß keine Ahnung hätte.
Im Grunde stimmte das wohl auch, denn eine "richtige" Bäuerin war die Tochter des Landgerichtsrats dann doch nie ganz geworden. Der Weg führt sie noch immer des Öfteren in die Stadt, wo die Mutter auch nach dem Tode des Vaters wohnt und dort macht sie dann Besorgungen oder bummelt durch die Geschäfte, geht zum Friseur, gibt Geld für den Schneider aus usw. - häufiger als man das auf dem Lande zu tun pflegt, wo jeder Besuch in der Stadt ein großes Erlebnis ist. Das wird natürlich von der bäuerlichen Umwelt nicht nur wohlmeinend wahrgenommen.
Aber da sich die beiden ausnehmend gerne haben, vertragen sie sich gut miteinander, auch trotz der unterschiedlichen Herkunft und trotz dessen, daß die Altbäuerin leichte Sticheleien gegen die unerhoffte Schwiegertochter nie ganz aufgegeben hat.
Bauer Baranowski ist ein ruhiger herzensguter Mann, wenn auch gelegentlich etwas brummig, wenn man ihn etwa bei der Zeitungslektüre oder dem Schnitzen - seinem Steckenpferd seit Jugendtagen - stört. Mehrere Pfeifen - seine zweite Leidenschaft - hat er sich selbst geschnitzt. Katholisch erzogen hat er zwischenzeitlich gewisse Bedenken gegen die Amtskirche entwickelt, so daß seine Kirchgänge recht unregelmäßig ausfallen und sich auf die hohen Festtage zu reduzieren drohen. Zumindest war das der Fall, bis sich seine Frau Hildegard in den Kopf gesetzt hatte, in der "VauEff" Politik treiben zu wollen, Bauer Baranowski hatte dagegen eine gewisse Distanz zur "VauEff", die er nur seiner Frau zuliebe nicht nach außen trug. Dahingegen war Landgerichtsrat Greupner selbst Bürgermeister von Ortelstein und später Abgeordneter in der Landkammer gewesen.
Frau Hildegard ist dahingegen eine lebenslustige und stets vergnügte aber ebenso herzliche und gutmütige Person. Eine gewisse zuweilen auftretende Resolutheit - vor allem wenn sie die Kinder zur Ordnung ruft oder rief, inzwischen sind sie so gut wie alle raus aus dem Alter - mag aus mehreren Generationen Richtern und Staatsanwälten in der Familie erwachsen sein. Ihr Reich ist die Küche, sie ißt nicht nur leidenschaftlich gerne, sondern kocht und bäckt auch vorzüglich; dahingegen sind Stall und Feld weniger das Gebiet ihrer Neigungen. Die Anfertigung von hausgemachter Wurst nach überkommenen und selbst erdachten Rezepten ist geradezu zu einem besonderen Steckenpferd der Bäuerin gediehen, worüber sie auch gerne in der Landfrauenschaft der Vaterländischen Front referiert. Den Gottesdienst besucht sie öfter als vielleicht nötig, denn das wird von einer Zugezogenen aus der Stadt gewiß erwartet, in einem Dorf, das ausschließlich - wie so häufig in den Kirchspielen um den Dom von Ortelstein - aus Katholiken besteht.